Artículo de Juan Moreno en Der Spiegel

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I ch war 27, als ich mich bei der Deutschen Journalistenschule mit einem Lebenslauf bewarb, der so begann: „Ich heiße Juan Moreno und komme aus einem kleinen andalusischen Dorf, in dem die Männer noch Männer sind und die Schafe deshalb Angst haben müssen.“ Ich sprach damals vom Heimat- dorf meiner Eltern und davon, warum sie dieses wunderbare Dorf verließen. Ich bin in Deutschland aufgewachsen. Heute, 14 Jahre später, ist etwas passiert, womit niemand rechnen konnte. Am wenigsten ich. Das Dorf meiner Eltern möchte mir eine Ehre zuteilwerden lassen. Mir. Nicht meinem Vater, der es meiner Meinung nach verdient hätte. Er besuchte nur vier Jahre lang die Schule, wuchs in einem Haus ohne Strom und fließend Wasser auf, hatte mit 18 noch keine Toilette mit Wasserspülung benutzt. Dennoch sagte er zu dem Mann vom deutschen Anwerbebüro auf die Frage, ob die Stelle als „Wasser-Installateur“ interessant sei: „Wasser-Installation, mei- ne Passion.“ Mein Vater ist vermutlich für die größte Serie kaputter Toiletten in der Geschichte der Stadt Offenbach ver- antwortlich, aber er war nie arbeitslos, nicht einen Tag lang. Das können nicht viele Andalusier von sich behaupten. Ich weiß nicht, warum das Dorf auf mich gekommen ist. Ver- mutlich, weil ich die einzige Verbindung zwischen dem Dorf und Deutschland bin. Deutschland ist angesagt in Spanien. Es funkelt wieder. Wie früher, als meine Eltern ihr teutonisches Glück suchten. Das deutsche Paradies, das noch keine gebilde- ten Kräfte brauchte, nur ungebildete Kräftige. Die Ehre besteht darin, dass ich bei einem großen Fest in diesem Dorf die Eröffnungsrede halten soll. Erwartet wird eine charmante Ansprache, die ein gutes Licht auf die spanische Heimat wirft. Die „Feria“, wie dieses Fest heißt, ist im Oktober. Die Dorfprominenz wird zusammenkommen und „einem der großen Söhne“ des Dorfes zuhören. Niemand erwartet etwas von Bedeutung. Jetzt könnte man denken, meine Eltern seien stolz darauf, dass ihr Junge zu den „großen Söhnen“ gewählt wurde. Sie wissen, dass diese Wahl viel über die Trostlosigkeit der Ge- meinde sagt. Stolz könnten sie trotzdem sein. Aber die Wahr- heit ist: Meine Eltern sind nicht stolz. Sie sind verängstigt. Der Gedanke an meine Rede terrorisiert sie. Der Gedanke, dass ich auf einer Bühne stehe und andalusischen Orangen-Baronen, Oliven-Dynasten und Schweine-Mästern aufrichtig sage, was ich mittlerweile über Spanien denke. Ich schreibe seit Jahren über dieses Land und weiß, wie man eine solche Rede beginnen sollte. Ich sollte erwähnen, wie lie- benswert wir Spanier sind. Gerade jetzt, da so viel Kritik von Europa herunterweht. Ich sollte darüber sprechen, dass der Spanier weiß, was im Leben wichtig ist. Vermutlich verdienen wir weniger Geld als die Deutschen, aber wir geben mehr für Essen aus. Das sagt doch alles. Außerdem lieben wir Kinder. So sehr wie kein anderes Volk. Und erst die Dorffeste. Im politischen Teil meiner Rede würde ich erwähnen, dass ich als Journalist arbeite. Ich weiß, wie Kampagnen funktio- nieren. Spanien, würde ich behaupten, sei ein Opfer. Man brau- che Opfer, um Zeitungen zu verkaufen. Natürlich treffe Spanien keine Schuld. Es sei nur eine vorübergehende Phase, die Um- stände eben. Außerdem gebe es Gründe. Das billige Geld bei- spielsweise. Auch deutsche Banken hätten gern an Spanien verliehen. Angela Merkel wolle das Geld der deutschen Banken zurück. Solche Geschichten lieben sie in Spanien. Sie würden mich aus dem Dorf prügeln, wenn ich wagen sollte, alles auszusprechen, was ich denke. Ich müsste gestehen, dass mich Spanien fertigmacht. Ich müsste beichten, dass ich überlege, endlich Deutscher zu werden und den spanischen Pass zurückzugeben. Wo soll ich anfangen, Amigos? Dass sich 200 spanische Politiker wegen Korruption verantworten müssen? Dass ich nicht fassen kann, dass der größte Dopingskandal der spa- nischen Geschichte mit einer Bewährungsstrafe enden soll? Dass die Richterin in diesem Prozess die Vernichtung der Blut- proben anordnete, um die Persönlichkeitsrechte der Doper zu schützen? Was werden sie im Dorf sagen, wenn ich ehrlich über die sogenannte Schönheit unserer Heimat spreche, die spanische Küste? Wie kann man da ernsthaft Urlaub machen? In diesem von Bauspekulation ruinierten Streifen? Den meine Regierung auf welche Weise retten will? Sie beschließt ein „Küstenschutz- gesetz“, das 24 000 illegale Strandhäuser vor dem Abriss schützt. Sie versucht, die Bautätigkeit anzukurbeln, und stellt jedem Ausländer, der 160000 Euro für eine Immobilie ausgibt, eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung in Aussicht. Im spanischen Fernsehen schlagen Experten den Millionen Arbeitslosen vor zu beten. Eine Staatssekretärin erklärte, die jungen Menschen würden Spanien verlassen, weil sie „aben- teuerlustig“ seien. Interessant. Die ziehen von Madrid nach Delmenhorst, weil sie es mal so richtig krachen lassen wollen. Spanien hat die Politiker, die es verdient. Nicht ein einziger spanischer Politiker hat sich an die Macht geputscht. Ich kann das Gejammere in den Cafés nicht mehr hören, das Schimpfen auf Merkel, auf Europa, das alles ertrage ich nicht mehr. Als die große spanische Party noch lief und der Sound des Landes Baulärm war, interessierte sich niemand für Merkel. Spanien ist ein Land, in dem Dorfpolitiker noch immer Wah- len gewinnen, weil sie populäre Bands für ihre Dorffeste enga- gieren oder weil sie Straßenbahnen bauen, die ihre Gemeinden niemals werden unterhalten können. Ein Land, in dem sogar Klöster ihre Gärtner schwarz bezahlen. Ein Land, in dem es Dörfer gibt, wie das meiner Eltern, in denen die Mehrheit der Bewohner entweder schwarzarbeitet, noch nie korrekt Steuern gezahlt hat oder ihre Jobs politischen Freunden verdankt. Zu Ehren eines solchen Landes halte ich keine Rede. Ich bleibe zu Hause, in Deutschland. J M Amigos HOMESTORY Warum ich meinen spanischen Pass zurückgeben möchte Sie ziehen von Madrid nach Delmenhorst, um es richtig krachen zu lassen. 24/2013 57

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Ich war 27, als ich mich bei der Deutschen Journalistenschulemit einem Lebenslauf bewarb, der so begann: „Ich heißeJuan Moreno und komme aus einem kleinen andalusischen

Dorf, in dem die Männer noch Männer sind und die Schafedeshalb Angst haben müssen.“ Ich sprach damals vom Heimat-dorf meiner Eltern und davon, warum sie dieses wunderbareDorf verließen. Ich bin in Deutschland aufgewachsen.

Heute, 14 Jahre später, ist etwas passiert, womit niemandrechnen konnte. Am wenigsten ich. Das Dorf meiner Elternmöchte mir eine Ehre zuteilwerden lassen. Mir. Nicht meinemVater, der es meiner Meinung nach verdient hätte. Er besuchtenur vier Jahre lang die Schule, wuchs in einem Haus ohneStrom und fließend Wasser auf, hatte mit 18 noch keine Toilettemit Wasserspülung benutzt. Dennoch sagte er zu dem Mannvom deutschen Anwerbebüro auf die Frage, ob die Stelle als„Wasser-Installateur“ interessant sei: „Wasser-Installation, mei-ne Passion.“ Mein Vater ist vermutlich für die größte Serie kaputter Toiletten in der Geschichte der Stadt Offenbach ver-antwortlich, aber er war nie arbeitslos, nicht einen Tag lang.Das können nicht viele Andalusier von sich behaupten.

Ich weiß nicht, warum das Dorf auf mich gekommen ist. Ver-mutlich, weil ich die einzige Verbindung zwischen dem Dorfund Deutschland bin. Deutschland ist angesagt in Spanien. Esfunkelt wieder. Wie früher, als meine Eltern ihr teutonischesGlück suchten. Das deutsche Paradies, das noch keine gebilde-ten Kräfte brauchte, nur ungebildete Kräftige.

Die Ehre besteht darin, dass ich bei einem großen Fest indiesem Dorf die Eröffnungsrede halten soll. Erwartet wird einecharmante Ansprache, die ein gutes Licht auf die spanischeHeimat wirft. Die „Feria“, wie dieses Fest heißt, ist im Oktober.Die Dorfprominenz wird zusammenkommen und „einem dergroßen Söhne“ des Dorfes zuhören. Niemand erwartet etwasvon Bedeutung.

Jetzt könnte man denken, meine Eltern seien stolz darauf,dass ihr Junge zu den „großen Söhnen“ gewählt wurde. Siewissen, dass diese Wahl viel über die Trostlosigkeit der Ge-meinde sagt. Stolz könnten sie trotzdem sein. Aber die Wahr-heit ist: Meine Eltern sind nicht stolz. Sie sind verängstigt. DerGedanke an meine Rede terrorisiert sie. Der Gedanke, dassich auf einer Bühne stehe und andalusischen Orangen-Baronen,Oliven-Dynasten und Schweine-Mästern aufrichtig sage, wasich mittlerweile über Spanien denke.

Ich schreibe seit Jahren über dieses Land und weiß, wie maneine solche Rede beginnen sollte. Ich sollte erwähnen, wie lie-benswert wir Spanier sind. Gerade jetzt, da so viel Kritik vonEuropa herunterweht. Ich sollte darüber sprechen, dass derSpanier weiß, was im Leben wichtig ist. Vermutlich verdienenwir weniger Geld als die Deutschen, aber wir geben mehr fürEssen aus. Das sagt doch alles. Außerdem lieben wir Kinder.So sehr wie kein anderes Volk. Und erst die Dorffeste.

Im politischen Teil meiner Rede würde ich erwähnen, dassich als Journalist arbeite. Ich weiß, wie Kampagnen funktio-nieren. Spanien, würde ich behaupten, sei ein Opfer. Man brau-che Opfer, um Zeitungen zu verkaufen. Natürlich treffe Spanienkeine Schuld. Es sei nur eine vorübergehende Phase, die Um-stände eben. Außerdem gebe es Gründe. Das billige Geld bei-spielsweise. Auch deutsche Banken hätten gern an Spanienverliehen. Angela Merkel wolle das Geld der deutschen Bankenzurück. Solche Geschichten lieben sie in Spanien.

Sie würden mich aus dem Dorf prügeln, wenn ich wagensollte, alles auszusprechen, was ich denke. Ich müsste gestehen,dass mich Spanien fertigmacht. Ich müsste beichten, dass ichüberlege, endlich Deutscher zu werden und den spanischenPass zurückzugeben.

Wo soll ich anfangen, Amigos? Dass sich 200 spanische Politiker wegen Korruption verantworten müssen? Dass ichnicht fassen kann, dass der größte Dopingskandal der spa -nischen Geschichte mit einer Bewährungsstrafe enden soll?Dass die Richterin in diesem Prozess die Vernichtung der Blut-proben anordnete, um die Persönlichkeitsrechte der Doper zuschützen?

Was werden sie im Dorf sagen, wenn ich ehrlich über die sogenannte Schönheit unserer Heimat spreche, die spanischeKüste? Wie kann man da ernsthaft Urlaub machen? In diesemvon Bauspekulation ruinierten Streifen? Den meine Regierungauf welche Weise retten will? Sie beschließt ein „Küstenschutz-gesetz“, das 24000 illegale Strandhäuser vor dem Abriss schützt.Sie versucht, die Bautätigkeit anzukurbeln, und stellt jedemAusländer, der 160000 Euro für eine Immobilie ausgibt, eineunbefristete Aufenthaltsgenehmigung in Aussicht.

Im spanischen Fernsehen schlagen Experten den MillionenArbeitslosen vor zu beten. Eine Staatssekretärin erklärte, diejungen Menschen würden Spanien verlassen, weil sie „aben-teuerlustig“ seien. Interessant. Die ziehen von Madrid nachDelmenhorst, weil sie es mal so richtig krachen lassen wollen.

Spanien hat die Politiker, die es verdient. Nicht ein einzigerspanischer Politiker hat sich an die Macht geputscht. Ich kanndas Gejammere in den Cafés nicht mehr hören, das Schimpfenauf Merkel, auf Europa, das alles ertrage ich nicht mehr. Alsdie große spanische Party noch lief und der Sound des LandesBaulärm war, interessierte sich niemand für Merkel.

Spanien ist ein Land, in dem Dorfpolitiker noch immer Wah-len gewinnen, weil sie populäre Bands für ihre Dorffeste enga-gieren oder weil sie Straßenbahnen bauen, die ihre Gemeindenniemals werden unterhalten können. Ein Land, in dem sogarKlöster ihre Gärtner schwarz bezahlen. Ein Land, in dem esDörfer gibt, wie das meiner Eltern, in denen die Mehrheit derBewohner entweder schwarzarbeitet, noch nie korrekt Steuerngezahlt hat oder ihre Jobs politischen Freunden verdankt. ZuEhren eines solchen Landes halte ich keine Rede. Ich bleibe zuHause, in Deutschland. JUAN MORENO

AmigosHOMESTORY Warum ich meinen spanischen

Pass zurückgeben möchte

Sie ziehen von Madridnach Delmenhorst, um esrichtig krachen zu lassen.

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