Goerling Genero Sexo Fantasma Literatura
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7/26/2019 Goerling Genero Sexo Fantasma Literatura
1/11
.t
t.
Reinhold
Grling
'
.j
Das Geschlecht
der
Gespenster
1
j
Literarische
lnszenierungen
1
einer
ambivalenten
Gegenwrtigkeit
In seinen
Bemerkungen iiber
die Farben
greift
Ludwig Wittgenstein
auch
die
alte
Frage
auf,
welche Far be
die
des Gespenstes
sei.
AMan
knnte
sagem,
schreibt
er,
es
Asei
die,
die ich
auf
der
Palette mischen
mufs,
um
es
genw
abzumalen.p
Und
er
fgt hinzu:
(fWie
aber
bestimmt
man,
was das
genaue
Bild
ist?
p
Wittgensteins
Ironie
exemplisziert,
was in dem Aphorismus,
der auf
den
eben zitierten
folgt, in
kritischer
Wendung gegen d ie
Psychologie
festge-
stellt
wird:
ADie
Psychologie
verindet
das
Erlebte mit
etwas Physischem,
wir
aber
das
Erlebte mit Erlebtem.vl
hnlich
kann
es
einem ergehen,
wenn
man nach
dem
Geschlecht
des
Gespenstes
fragt,
Die
Polysemie,
clie das Wort
Geschlecht
im Deutschen
be-
sitzt,
macht es
selbst gespenstischvWohl
knnte
man
auf
die Frage
antworten,
das
Geschlecht des
Gespenstes sei
das,
dem
der , die oder clas
Untote
auch als
Lebendetr/s)
angehrt
hat. Wie
aber
bestimme
ich,
was
ein Gesclalecht
ist?
Unweigerlich gleite
ich
von einer
vFarbehh
des
Begrifl
zur
anderen,
von
der
Geschlechtszugehrigkeit
zur
Familie,
zur
Abstammung,
zu
den
Ahnen, von
der
biologischen zur literarischen
Gattung, von gender zu
genre. Nach
dem
Geschlecht der
Gespenster zu
fragen,
kann
also
nicht
bedeuten,
die
(oiln-
kundige)
Geschlechtlichkcit der Gespenster
erkunden
zu
wollen. Vielmehr
zielt
mein Interesse
auf den
Zusammenhang von
genrevgender
undgeneration.
Es
steckt
also
etwas Gespenstisches
im
BegriF
des Geschlechts
selbst,
weil
er
Difirenzen
ebenso behauptet
wie
unterluft.
Das
Geschlecht
ortet
und
verzeitet
nch,
bestimmt
nlich
diskursiv
und rhetorisch
als
schon
immer
abgeleitet.
Man knnte
deshalb
wohl
auch
sagen:
clas
Gespenstische
ist (Iie
Dimension
des
Gesclzlechts,
die
mich
von
einem
anderen Ort und
einer
1
Ludwig
WITTGENSTEIN,
emerkungen
iiber die Farbenp,
i n: kr ka usg abe ,
Bd
8.
Frankfurt/M
1994,
88.
COMPARIAIISON
2 (1996)
175
-
7/26/2019 Goerling Genero Sexo Fantasma Literatura
2/11
anderen
Zeit
her
temporalisiert
und
Spatialisiert,
die
mich
exzentrisch
macht,
dezentralisiert.
Wohl in allen
Kulturen
gibt es Gespenster,
Figurationen
deS Abwesenden,
Untoten,
nicht ganz Vergangenen, noch n icht Gekommenen. Die
Art
und
Weise,
wie eine Kultur mit ihren Gespenstern umgeht, ist deshalb
ein
sehr
bestimmter
Indikator dafr, wie eine Kulttzr ihre
rumliche und zeidiche
Ordnung
organisiert, wie die
Subjekte in
ihr Macht iiber sich selbst und ber
andere erlangen und ausiiben.
Mglich, (L'tB
Gespenste r gerade in Situationen
eines historischen Umbruchs
gehuft
auftreten,
in
Situationen,
in
denen wir
das gesamte Geftige unseres Raum-zeit-verstndnisses neu definieren miissen
-
und damit auch
das
Verhltnis von An- und Abwesenheit. Gespenster
-
wenigstens dann, wenn
sie
dem Genre der Horror-Geschichte, in
das sie
im
l8.lahrhundert beinahe gebannt worden
wren,
entweichen knnen
-
halten
sich
nicht
an die
europiisch-neuzei tl iche Trennung von Vergangenheit , Ge-
genwart und
Zukunft.
Sie machen
auf (Iie frungleichzeitigkeit der
lebendigen
Gegenwart nt sich
selbsthh
aufmerksam, wie Jacques Derrida in seinem Buch
Marx' Gespenster
schreibt.z
Und sie halten sich auch nicht an die mit
unseren
Zeitvorstellungen verbundenen Denitionen
des
lkaumes;
sie
fhren zu Kollo-
kadonen und
sie
stellen Zwischenr:ume
her.
rllch
muB nmlich
ma1
mit e inem gruncltzlichen Mifsversndnis aufru-
men,
(L'tB
wir
Toten irgendwie tot
wuren.Wir
sind
voller
Protest
und Energie.
Wer wil l schon
umkommen?
Wir
durcheen,
durchforschen die
Geschichte.o
Dies
ist
ein
Satz aus
Alexander Kluges Film
ADie
Patriotinp.
K luge leih t hier
seine (unverwechselbare)
Stimme
dem Knie
des
Obergefreiten
Wieland,
am
29. Januar 1943 in
Stalingrad gefallen
-
als Knie (Gelenk.
Fuge,
Zwischen-
t' aum) aber aus einem
Gedicht
von Christian Morgenstern
kommend.
Ge-
spenster s ind Artikulationen eines
Einspruches
gegen einen
Mythos,
den wir
nur allzu selbswerstndl ich und
unhinterfragt
zur
Grundlage
unserer
alltgli-
chen
Orientierung
nehmen: den
Mythos
der
Prsenz.
Ich meine damit e inen
doppelten, sich
gegenseitig
sttzenden
Glauben'. den (L'IB die Anwesenheit
hher,
wichtiger,
mchdger
oder wahrer sei als die Abwesenheit; und
den,
CIaB
es so etwas
wie eine Reinheit
der
Prsenz
gebe. Denkt man in
dieser
Dichotomie,
clann
hat Abwesenheit keine eigene Qualitk,
i st si e
nur Mangel,
Mangel
an
Anwesenheit, bzw. Negation
des
Gegenwsrtigen.
Sicher
haben
wir Techniken,
uns
ein
Abwesendes anwesend zu
machen.
Geschichte schreiben und
Geschichten erzhlen
gehren
dazu. Doch wie
halten wir
es
dabei mit dieser
womglich eigenen Qualitt des Abwesenden?
2
Jacques DEKRIDA,
bkrx''
(IIFJJ7CNJZr
-
Der vechuldete Staatt die 'Xulerlrcl'l und
dlC
neue
Internationale,
ibers.
v.
Susanne Liidemann, Frankfurt/M
1995,
12.
3
Alexander
KLUGE,
Dfe Patrotin
-
Ixle /
Bilder 1-6,
Frankfurt/M
1979, 58.
176
Dienen uns
Geschichten und dient uns
das
Schreiben von
Geschichte
nicht
doch
nur
dazu,
die
Anwesenheit
auf
einem Vergangenen zu
fundieren
und
dadurch
grBer zu
machen?
Und
was
wird
aus dm,
was
in
unseren
Erz-lun-
gen
nicht
aufgenommen
wi rd? Zwei
literarische
Refektionen iiber
Gespen-
ster
sollen
nun
nach
diesem Zusammenhang
von
genfe,
,c r ller und
Reneration
befragt werden;
die
eine gilt
einemvater-,
die
andere einem
Muttergespenst'.
William
Shakespeares
Al'-lamletp
und
Heinrich
von
Kleists.
Das
Bettelweib
von
Locarnol).
Am
hupten,
so
scheint
es
jedenfalls,
treten
in unserer
neuzeidichen
Litera-
tur
die
Vkergespenster
auf.
Und
das Beispiel
aller Beispiele
ist der Geist
von
Hamleevater
-
zusammen
nt
dem zirka zehn
Jahre spter
an
einem
anderen
Ort
Europas
auf
die
Bhne
gebrachten
Steinernen
Gast,
an
dessen
kalter
Hand
Don Juan
die
Hllenfahrt
antritt. Wa5
ist
eiu
Gespenst? Das ist
ftir
Hamlet wie
ftir
Don Juan, ja,
d as i st , seitdem
Odipus die Verantworttzng
fr
den
Thebener
Thron
bernommen
hat, zunkhst die
Frage:Was
ist
einvater?
f'Who's
there?,
mit
diesenWorten beginnt Shakespeares
Stiick.4
Zur
Erinne-
rung:
Wir
sind
auf
einer
Befesgunpterrasse der
Burg
von
Helsingr,
es
ist
Mitternacht,
Zeit
des
Wachwechsels,
aber auch
Zeitloch,
in
dem das
Gespenst,
qthis
thinp
(1.1.21),
schon
zum
zweiten
MaI
auftritt,
in
der
Ritterriistung
von
Hanetsvater:
Enter
Gbost,
Exit
Gost,
Re-enter Ghost,
Fxff
Ghost r4'Tis herelp
/
f'rfis gone.
..$h
kommentieren
Horatio
und clie
Wachen
(1.1.142 1).
qstay,
speak,
speak,
I
charge thee,
speaklp
befiehlt
ihm
Homtio (1.1.51),
doch das
tut
es
erst
am nchsten Abend,
in der
Anwesenheit Hanet.
In
der
dazwischen liegenden Szene gibt
Shakespeare uns
eine
kleine
Lekti-
on in
Sachen
Spmche. Scheint
Horatio
zu hofin,
die
Ambivalenz
der
Er-
scheinung
audsen
zu knnen,
indem
er das
Gespenst zum
Sprechen brinp,
prsentiert
sich
Hamlet,
vom
ersten
Satz, den
er auf der
Biihne
artikuliert,
an,
a1s
ein
Meister des
Wortspiels.
Buchstbliche
und
figurative
Bedeutung,
Doppeldeutigkeiten,
Gleichklang
verschiedener Worte: kaam
ein
Satz, in
dem
Hamlet nicht mit
der
Unsicherheit
der
auBersprachlichen Referenz
spielte
und
damit
das
hohle Sprechen seiner
Gegeniiber
denunzierte. Hamlet
wird
diese
lhhigkeit
zunehmend verlieren, im 5.
Akt sind
es
die beiden Clowns,
die
Totengrber,
die
dieses SprachbewuBtsein iibernehmen.
Auch Hanzlet
fordert
das
Gespenst
in der
nzhsten
Nacht
zum
Sprechen
auE
Seinen
Bericht
iiber
die
Hllenqualen,
die es nun
erleiden
muB,
iiber
seine Ermordung
durch Seinen
Bruder
Claudius,
seine
Klage ber
die
Un-
treue
seiner
Frau
Gertrude
und
Hanllets
Schwur der Rache: das braucht
hier
4
william
SHAKESPE&KE,
f'fullllct,
Stuttgart
1984.
COMPAAIAIISON 2 (1
996)
COMPARIAIISON
2
(1996)
-
7/26/2019 Goerling Genero Sexo Fantasma Literatura
3/11
T'
weiter ausgefhrt
zu werden. Hanet
behlt
dieses
Wissen
f'tir sich,
und
er
verlangt
Horatio
und
Marcellus, die
ja
in
einiger
Entfernung
gewartet
haben, nach
dem
Gesprch
den
Schwur
ab, mit
keinem
ber
die
Erscheinung
zu
sprechen.
Sptenstens
hier
kippt
die
Szene ins
Komche.
Beide
haben
schon
geschworen,
da will
Hamleq
(Ia.IJ
sie
es
mit
der
Hand
auf
seinem
Schwerte
wiederholen.Wenn
5ie
dazu
ansetzen, ertnt
von unten
clie
Stimme
des
Geistes
mahnend:
tschwrtlh).
Sie
wechseln
den
Ort,
wieder
die Stimme
von
unten:
f'Swear by his swordlp
-
ftWell
said,
o1d
mole,)
(1,5,161
t),
erwidert
Hamlet und versucht
e5
an
anderem
Ort
ein drittes
und
letztes
Mal.
Es
komrnt
ncht mehr
zur
Wiederholung
des
Schwures,
es
sei
denn,
die
Mnner
akzeptiereny
CIa,IJ
der
Geist
fr
sie spricht.
Diese
Szene
gehrt
so
grotesk
inszeniert wie
s ie ist .
Zum
einen
setzt sie
in
theatralische
Bewegung um,
was
Hamlet am Ende
in dem
viel
zitierten
Satz
reektiert:
ff-l-he
t'ime
is out
of joint')
(1,5,188)
-
(fDie
Zeit
ist
aus
den
Fugenp
iibersetzt
August
Wilhelm
Schlegel
treFend.
Die
Verbindungstellen
von
Ver-
gangenheit,
Gegenwart
und
Zukun
sind
gerissen,
es gibt
mehr
als
eine
Zeit,
die
Gegenwart
ist mit
sich selbst
ungteichzeitig geworden.
luumlich
ausge-
driickt
heiBt
das,
das
Gefge
ist
geaennt,
dort,
wo
e5
zuvor
ein
gcnaues
Aneinanderpassen
gegeben
hat,
ist
ein
Loch, ein
Zwischenmum
entstanden.
Es gibt
aber
noch
einen
meiten grotesken
Aspekt
in
dieser
Szene,
der
woM
am
treFeniten
in
dem anderen
beriihmt
gewordenen
Satz
ausgedriickt
ist:
:We11
said,
o1d
mole.p
Er
hat
Hegel
ebenso
wie
Marx
begeistert:
Hegel
zitiert
ihn
am
Ende
seiner
Izbr/eluawea
per
fe
Geschkbte
der
Philosopie,
wenn
er
den
Alangen Zug
k on
Geisternh)
beschwrt,
deren
Prinzip es
ist,
sich
im
absoluten
Geist
zu
erkennen.
AAuf
sein
Drngen
-
wenn
der
Maulwurf
im
Innern
fortwiihlt
-
haben
wir
zu
hren
und
ihm
Wirklichkeit zu
verschaffenh.s
Marx
leiht
in
Der
achtzehnte
lmralfr:
des
Dui'l
Bonaparte
der
Revolution
diesen
Kosenamen:
lBrav
gewiilzlt,
alter
Matllwut-flhfh
Kehrt
man
zur
Referenzstelle
aus
Hamlet
zuriicky
so
fOt ein
deutlich
fraternaltischer
Zug
auf.
Unheimlich-
keit
scheint
vom
Gespenst
hier
nicht mehr
auszugehen,
eher
ist
es
ein
Kumpa-
nicht
ne, ein
Bundesgenosse
im
Kampf
geworden.Aber
in
welchem
Kampp
Jedenfalb
scheint nr
dieseverbriiderung
mit dem
Gespenst
es
kaum mg-
lich
zu
nuchem
in
ihm
eine
Wicderkehr,
eine
Figutution
von
Schuldgefhlen
zu sehen, die
Hamlet
-
den
einfachsten
psychoanalytischen
Interpretationen
zufolge
-
gegen
seinen
Vater
haben
miisse, ob
der
dipalen
Todeswiinsche
gegen
ihn
als
Konkurienten
um
Gertzazdes
Gunst.
Schon
Horkheimer
und
5
Georg
Wilhelm
Friedrich
HEGEL.
ebrlesungen ber
kfe
Geslhte
der
Pi/pypy/lfc,
Bd
3
t'Werke
Bd
20),
Frankfurt/M
1991, 462.
6
Karl
MaRX,
ADer
achrzehnte
Brumaire
des
Louis
Bonaparteh,
in:
ders.
u.
Friedrich
Engels.
I'Pirkc, Bd.
8. Berlin
1978,
196.
Adorno
haben
in der
Dialektik der
.z'1nXDrl:rl.g Freuds
Theorie,
ftclafs
der
Ge-
spensterglaube
auS
den bsen
Gedanken der
Lebenden
gegen
dieverstorbenen
kommt,
aus der
Erinnerung
an
alte
Todeswiinscheh,
a ls A zu
planp
bezeichnet.7
Die
Zuriickgebliebenen
ftihlten
sich
verlassen, sagen
sie,
verraten
von
den
Toten.
lm
Spuk
und seinem
modernen
Gegenstiick,
dem
rationalisierten
Vergessen, sehen
sie
Versuche,
diesen
Geflllen
zu begegnen.
Wenn
dies
rich-
tig
ist, wenn
die
Fraternalisierung einenverrat
berdecken
soll,
worin
besteht
er
in Hamlet
Ein Schwur
ist ein performativer
Akt, er
produziert
etwas, das
es vorher
nicht
gegeben
hat.
Er
muB auf
nichrs
venveisenyja, er
ist oft
umso
wirksamer,
je
weniger cr ein
AuBersprachliches
mit
Sich
trgt.
Der Schwur
zu
schweigen
verp:ichtet
die
Schwrenden,
er
stellt ein
Geheimnis
hc r, ohne
CIaI3 es
ein
Wissen
geben
mufs. Er
schmiedet
eine
Gruppe
-
nicht
aus, aber doch
-
ber
dem
NichB,
iiber der
Leere.
Und
das wohl
um
so
deudicher, wenn
er einen
Toten
nteinscllliefst.
Die
Mnner
hier bannen
also
eine
Leere,
einen existen-
tiellen
Ver ra t, wie
ihn
Horkheimer und
Adorno
beschreiben, indem sie
ihn
aus
sich
heraussetzen.
Der, der
den
Schwur
bricht,
ist
jetzt
der
Verr:ter,
der,
det
an
das
leere
Geheimnis
riihren
knnte,
ein Feind.
Ein
anderer
beriihmt gewordener
Satz
aus
Hzmlet
macht
clas
vielleicht
noch
etwas
deutlicher.
q'T'he
king
is
a thing
@...J
of
nothinph
(4,2,27 f)
Der
Zusammenhang,
in
dem Hamlet
dies
uBert, gibt keinen
Hinweis
damuf,
welchen
Knig
er
meint:
das
Gespenst
seines
Vaters,
der
dreifach
nichts
ist:
tot , ohne
Knipzepter
und
gehrnt?
Claudiu, der
Mrder,
Verrter
und
Phrasendrescher?
Alle
Knige?
Mud
Ellmarm
schreibt
in
einem sehr
anregenden
Aufbtz
iiber
die Geister
in
James Joyces
Ulysses,
es
seien in
Shakespeares
Theaterstiicken vor
allem
die
Frauen,
die
das Nichts
artikulieren
und
bannen.8
So
auch
-
aber
eben nicht
ganz
-
in
Hamlet:
Als
der
Geist
noch
einmal,
ein drittes
Mal,
auftritt, im
Hausmantel,
wrend
Hamlet
in seiner
Mutters
Privatgenuch
ist, sieht
Ger-
trude ihn
nicht.
Das
Gespenst
erscheint
also
nur
den
Mnnern,
bzwt
Shnen.
Und
auch
Ophelia
artikuliert dieses
Nichts
immer
wieder,
etwa
in
der etwas
obsznen
Szene
zu
Beginn
der
TheaterauAhrung
(im
Stiick),
die
rrtit
Germ
trudes
Frage
an
Hamlet beginnt,
ob
er
sich
nicht
zu
ihr
setzen
wolle:
Nein,
sagt
er zu
seiner
Mutter, hier sei
Ametal
more attractivep:
nt
dem
Merall
meint
er
Ophelias
Krper,
und er
geht
uch
gleich
zur Sache
-
allerdings
erweist
sich
dieses
thing auch
sehr
schnell
als
ein
no-ting'.
7
Max
HORKHEIMEP-
u.
Theodor
W
Aoolkto,
Dolektik ker
Aulklrung
-
Pilosopbcbe
Frupneate, Amsterda:n
1947, 254.
B
Maud
ELLMANN, 4'T'he
Ghosts
of Ulyssesp,
in:
ne Aftt
a nd / /l c
L.altyn'nt,
hg.
v.
Augustine
Martin,
London
1990. 193-228.
COMPARIAIISON
2
(1996)
COMPARIAIISON
2
(1996)
-
7/26/2019 Goerling Genero Sexo Fantasma Literatura
4/11
Ham.
Lady,
shall
I
1ie
in
your
lap?
Opb. No,
my
Lord.
Ham. I
mean, my
head
upon
your
lap?
Oph. hy,
my
lord.
Ham.
Do you
think I
meant country
matters?
Oph. I
think
nothing,
my
lord.
f'fta.erhat's
a
fair thought
to
1ie
between
maids' legs.
OJ.What
is,
my
lord?
Ham. Nothing,
(3.2.113 fll
Selten diirfte
eine
(symbolische)
Entmannung
zXrdicher
vollzogen
worden
sein
als
hier: matter,
das
Ding,
das
Hamlet so
vulgr ausstellt,
wird von
Ophe-
1ia
mit
einem
schlichten
notbing
quittiert.
In
Hamlet
bannen
die Frauen
das
Nichts
nicht
mehr,
es
zirkuliert so
krftig
zwischen
Ophel ia und
Gertrude,
(Ia.B
auch
der
fraternalistische
Schwur,
vom
Gespenst
zu
schweigen,
es
nicht
zr
Ruhe
bringt.
A-fhe
body is
with the king, but
the king
is
not with
the
body.
/
The
king
is
a thing
(.
.
.j of
nothinp')
(4,2,26
1)9
Wie
aber
einenvater
tten,
wenn
er
ein
Nichts ist?
-
Hamlet
weifl zu viel,
wie
Jacques
Lacan
in
seiner
sehr
genauen
Hanllet-lnterpretation
sagt,
er
muB
vergessen,
um
sein
Begehren
zu
lernen.lo
Ich f tige
kritisch hinzu:
sein
msnn-
liches,
sein phallisches
Begehren.
q'rhe
king
is
a thing
(. .
.)
of
nothinpp Dieser Satz
fllt einige
Zeit,
nach-
dem
Hamlet die Erscheinung
hinter
demvorhang
in
Gertrudes
Schlafzinlmer
zu
eier
Ratte
umdefiniert und
niedergestochen hat. Darnit
ist der
erste
Schritt
dicses
Lernprozesses
gemacht:
wenn
der
Knig
ein
Ding
aus Nichts
ist,
wenn
nicht
einmal
dieses
Knipwort einen sicheren
Referenten
hat,
dann
ist
es eine
Sache der Denitionsmacht,
die
Sprache
und das
Aullerspmchliche
miteinander zu
verbinden. Hamlets
Gleichgltigkeit
gegenber
dem
toten
Krper hinter
dem
Vrhang, die
auch
anhlt,
als er entdeckt,
CIa,B
er
weder
einer lkatte,
noch
Claudius,
sondern
Polonius
gehrt
hat, zeigt,
w ie wei t
er
schon Worte
und
Wirklichkeit
zu
vemechseln bereit
ist.
Der
nchste
Schritt
ieses
Lernprozesses ist
vollzogen,
als
er
Rosenkranz
und
Gldenstern mit
gDas
meint, wie
gesagt,
das
Gespenst in
der
Rstung
ebenso wie
den
eking
of
shreds
md
patches:
(3.4.101),
die
mit
Lumpen und
Flicken
behngtevogelscheuche, die
nun auf
demThron
sitzt.
Inwieweit hier
auch die juristische
Theorie der vzwei
Krper des
Knigs.
irzs
Spiel konunt, ist
umstriuen.vgl.: Ernst H.
KAlsll.oRowlcz,
Die zwei
Krper
des
Knks
-
Eine
Studie
zur
politischen 'Jct?pell'e des Mittelalters,
ubers.
v. Walter
Theimer,
Miinchen
1994;
Kritiken claran
trgt
zusammen:
Slavoj
ZIZEK, Dk'e
Grllluen
des Realen
-
Jacques
f-zaa
oder Jle Motutrsitt des
z'lkfes,
tibers.
v.
Isolde
Charim
u.a.,
Kln
1993,
124-129.
'olacques
LAcAx, 4l-lanaletv,
ibers.
v.
Michael
Turnheim,
in:
+0
ES W HR,
2, 3-60
u.
3-4,
5-45.
180
Tod
schickt,
einem
Brief
in
den
ugel
gesetzt
hat.
eflschten
uterliche
S
einem
g
ch
das
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sondern
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Mutter
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bechtet,
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(tevery
god
did
seem
to
Wenn
haben,
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zu
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Mannes,
seines
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4
60
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(
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historisch,
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We
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wie
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St'u
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Flschung.
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bewuBtesvergeoen,
Geschichten
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die
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W
11
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7
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sondern
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dius
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zu
se
,
pa,
von
Clau
des
Stckes
Laertes
au
am
Ende
es
Brie
unter
den
er
nicht
COMPARIAIISON
2 (1996)
1 1
James
JOYCE,
Ulysses,
London
1993,
170
(9,
842
fl).
12
Nivolas
ABRAHAM,
xLe
fantme
d'Hamlet
ou
1eVI*
acte
prcd
par
L'ene'acte
de
la
tvritp,
in:
Nicolas
ASRAHAM
u.
Maria
Toltol,
L'corce
et
le
acsp,
Paris
1987,
447-474.
coMpAR.lAllsoN
2:1996)
181
-
7/26/2019 Goerling Genero Sexo Fantasma Literatura
5/11
Das klingt
ein
wenig konstruiert, aber
der hoch
Sprachsensible
Abraham
fdhrt
eine
ersuunliche Menge an
Belegen dafr n.
Wie
dem
auch sei,
es
ndert nichts
an dem Problem,
CIIB
in
jedem
Wort
des Vaters
eine
Flschung
s teckt oder s tecken kann. Und Hmlet
lernt,
clas
zu vergessen.
Das vkerliche
Gespenst i5t eine
Mahnung
des Vergessens,
und zwar
im
doppelten
Sinne
des
Wortes
Mahnung: eine
Erinnerung an die
Flschung
(eine
Ahnung),
aber
auch,
weniptens
clann,
wenn man
mit ihm
so
umgeht wie
Hamlet, eine
Mahnung
zu
vergessen.
Jacques Derrida Schreibt in Marx'
Gespetuter
iiber
die seltsame
Spektralitt
des
Gespenstes,
unter
anderem iiber
denvisier-Efekt. Gespenster
-
ich
Schr:nke
ein:
Vatergespenster
-
zeigen ihr
Gesicht
nicht, aber
man fhlt
Sich
von
ihnen
beobachtet. Ldt
man sie nicht
ein,
ninnmt
man
sie
nicht in
Gastfreudschaft
auf,
also ohne
Verbriiderung,
als
Fremde,
sie werden zu
Varianten
des B
Brother. sie rnahnen
dasvergessen zu vergessen.
v'Fhis is 1,
/ Hmlet
the
Dane
(5,1,251
9:
mit
diesem
Schlachtruf
zieht
Hamlet
'
in den
Zweikampf
nt
Laertes um
dem
Leichnam
Ophelias. Die
Reterritorialisierung,
clie
Identifikation
mit der symbolischen
Ordnung, nimmt
den
Weg
iiber
den
toten
Krper
der
Frau. Nicht nur d ieses
eine
M:I
in
Shakespeares
Stck: Gertrude stirbt
zweimal, zum
SchluB
-
und
macht
d-
durch den Weg
flir
eine
neue
Regierung, eine
neue alte
Ordnung
frei;
zuvor
aber,
symbolisch,
durch
Hmlet-s
Worte,
die
(tlike
daggersh/
in
Gertrudes
Ohr
dringen
(3,4,94).Wenige Augenblicke zuvor
hat Hamlet,
im
selben
Kaum mit
einem
merallnen
Dolch
Polonius
gettet,
der
Leichnam
l iegt noch
dort, nun
spricht er mit
grBtem Ekel
und
Abscheu iiber
das
Bett, die
Sexualitt,
den
Krper seiner
Muttcr
-
verwirft,ttet sie
mit Worten.
Die venvodne
Mutter kehrt
nicht
als
reinkarniertes
Gespenst
in
diesem
Stck
wieder: es ist
ja
auch der Krper,
nicbt der
Geist, dem
der Abscheu
gilt. Aber sprachlich
zet
es
sich.
Mafgaret
Fergtzson ist der
hufige
Gebrauch
des Wortes mat ter
aufgefallen:
sechsundzwanzigmal
kommt
es vor,
das i st fter
als
in
jedem anderen Sti ick
Shakespeares,
und
immer wieder
in
Verbindung
mit
demWort
mother.z3
ttNow;
mother, what's
the
matter?hh
(3,4,7)
ist eines der
deutlichsten
Beispiele:
das
englische
matter
(Materie,
Sache,
Angelegenheit)
steht in der
Mitte
zwischen
dem englischen moter und dem lateinischen
mater.
Der
venvorfene,
zur Sache gemachte
Krper,
der mit
der
Mutter
assoziert
wird,
kehrt
wieder
alS matter
des
Wortes.
a1s Gespenst
seiner
Buchstblichkeit,
Beides,
ein
-
nicht
inkarniertes,
gespenstische
Buchstblichkeit der
Sprache,
findet sich
in
Kleists
Mininovelle
Das
Bettelweib
von
Lpcurap.
Kleist
hat sie
1810 in
seinen
Berliner
Abendblttern
verffntlicht,
ich
zitiere
sie
nch
der
Textfassung
aus
dem
zweiten
Band
von
Kleists
Erz:hlungen,
erschienen
An
der
Tr
eines
Schlosses
in
der
Nhe
von Locarno,
clas heute,
wie
der
Leser
zu
Beginn ezhrt,
in
Schutt
und
Trmmern
liegt,
tindet
sich
bettelnd
eine alte Frau
ein. Die
Hausfrau
nimmt
sie auft
bettet
sie rtaus
Mitleiden),
auf
Stroh in
einem
Zimmer. Als
der
Marc'hese,
dem
das
Schlofs
gehrt,
den
R-aum betritt,
befielt
er
der Frau,
ftaufzustehen,
und
sich
hinter
den
Ofen
zu
verfgen.h
Dies
ausfhrend
fllt
d ie Frau,
sie
4glitschte znit
der
Kricke
auf
dem
glatten
Boden aup),
verletzt
sich
(IaS
Kreuz,
kxann
noch
einmal
aufstehen.
begibt
sich
hinter
den
Ofen
und
stirbt.
Einige
Jahre
spiiter
muB
der
Marchese
das
SchloB
verkaufen.
Einem
Inter-
essenten
bietet
er
dieses
Zimmer
als
Quartier
an.
Doch
der
orentinische
Ritter
kommt
ntten
in der
Nacht
erschreckt
hinunter,
(lhoch
und
teuer
versichernd,
CLa,I3
es in
dem
Zimmer
spukep:
etwas,
das
dem
Blick
unsichtbar
gewesen,
habe
sich
erhoben,
sei
langsam
und
gebrechlich
quer
ber (L'B
Zim-
und
hinter
dem
Ofen
unter
Sthnen
und
Xchzen
nieder-
1 8 1
1 .
1
4
aber
hrbares
-
Muttergespenst
und
eine
mer
gegngen
gesunkep.
Diese
akustische Erscheinung
wiederholt
sich
im
folgenden dreimal.
Im-
mer
ist
der
Marchese
anwesend,
denn
er
mchte
das Gercht,
(1:5
sich erho-
ben hat,
aus
der Welt
schaffen.
Ein
SchloB,
in dem
es
spukt,
verkauft
sich
schlecht
(-
es
sei
denn
an
sogenannte
fdAmerikanerh, wie
in
Oscar
Wildes
Canterville
Gpxl).
Bei
der
ersten
Probe
ist der
Marchese alleine,
bei
der
zweiten
begleitet
ihn
seine
Frau
und
ein
treuer
Bedienter,
bei
der
dritten
wieder
die
Marquise und
ein
Hund.
Hier
wechselt
die
Erzhlung
ins
Prsens:
wieder
Geriiusche,
der
Hund
wacht
auf,
weicht
knurrend
und
bellend
gegen
den
Ofen
aus,
der
Marquis
haut mit
seinem
Degen
qgleich
einem
R-asendenh)
die
Luft
durch,
die
Mrquise
llt
anspannen,
ventscltlossen,
augenblicklich,
nach
der
Stadt
abzufahrenhh.
Der
Marchese aber,
rtmde seines
Lebensh)
steckt
das SchloB
an
und
kommt
im
Feuer
um.
Die Erzllung
endet
wieder im
Imperfekt,
aber
nt
der in die
Gegenwart
weenden
Mitteilung,
daB die
weilen
Gebeine
des Mrchese,
von den
Landleuten
zusammengetmgen,
noch
jetzt
in
demWinkel des
Zimmers
liegen,
rfvon
welchem
er
das
Bettelweib
von
Locarno
hatte
aufstehen
heiflen.')
So
weit
scheint
die
Erzhlung
zienalich
simpel
gestrickt zu
sein
und
in
etwa
dem
Schema
all
der
Gespenstergeschichten
zu
entsprechen,
die
vor
und
14
Heinrich
von
KLEIST,
ADa.S
Bettelweib
von
Locarnop,
in:
Siit'itlicbe
H'rkc
uttd
lrf/c.
Bd.
2,
Miinchen
1987,
196-198.
I-.IAMI3ARIAIISQAN
2
(
9t)f1)
183
13
Margaret
'W
FERGUSON,
qHantlet:
let ters and
Spirits),
in: Sakespeare and the Quell l'ot l
of
neory, hg. v. Patricia Parker
u.
Geoffrey Hartmann, New York
u.
London
1985,
292-
309.
182
COMPARIAIISON 2
(1996)
-
7/26/2019 Goerling Genero Sexo Fantasma Literatura
6/11
?'
auch
noch
zu
Kleists
Zeiten
so
sehr
in Mode waren und
iiber
di e sich
der
preufsche
Adlige
Sdbst
einmal
in
einem Brief
lustig gemacht hat.
Doch
wenn
nzan etwas
genauer
hinsieht
-
und
das
mull
man
immer, aber bei
Kleist
ganz besonders
-
beginnt es
im Text
selbst
zu
spuken.
Kleist
bedient
sich
wohl
der
geschlossenen
Form der
Novelle,
aber
inner-
halb
dieses
Rahmens finden
wir die
Teile
so zerstreut wie die
weiBen
Gebeine
des
Marchese
nach dem
Brand
des
Schlosses.
Ein Beispiel;
der
Gang
der
Geschichte,
die Diegese,
Scheint
dem
Leser zu
versichern,
daB
wir
es
hier
mit
ein
und
demselben Zimmer
zu
tun haben. Doch
wenn man genauer
hinsieht,
verliert dieser
Ort
seine
Identitt.
Ein
fdschlol
nt hohen
und
weitlufgen
Zimmern,
in
deren einem
einst,
auf Stroh:
die
alte Fmu
gebettet
wurde:
so
etwas
wii rde man
allenfalls
in einem
Parterrezimmer
envarten. Die nchste
Information:
bei
der lkiickkehr von
derlagd tritt
der Marchese
(fzufa'llig in
das
Zimmer,
wo er
seine Bfichse
abzusetzen
piegtel).
Doch wenn
das
seine
Ge-
wohnheit ist, dann
eitt der
Marchese
nicht
zufillig
in
das
Zimmer.
Weiter:
der Mqrchese
rtgab
seiner
Frau
auf,
den
Fremden
in
dem
oben
envshnten,
leerstehenden
Zimmcr,
das
sehr
schn
und
prchtig
eingerichtet
war, unter-
zubringen,h
Was
mutet
Kleist
seinen Lesern
zu?
Ein
sehr
schn
und
prchtig
eingerichtetes
Zimmer
steht nicht leer;
unser
Sinnbediirfnis
liest dartiber
hin-
weg,
der
narrative
Zusammenhng legt
nahe,
dall l eerstehend nur e in
un-
gliicklich
gewhltes Wort
ist, das
hier unbewohnt oder unbenutzt bedeuten
soll.
Das
aber
ist
das
Zimmer
nicht, wie wir sehr
bald
darauf
erfahren, ist
es
von
einem
Gespenst
bewohnt.
Andererseits
versteht
sich
das
deerstehend:
auch
im
Wiickbezug
auf
das, was wir zuvor
iiber
das
Zimmer
erfahren haben:
wenn
man
j
emanden auf
Stroh
bettet, diirfte clas
Zimmer
kaum
qsehr
schn
und prchtip
eingerichtet
sein. Wie
wir spter
ethren,
stehen auch
nnde-
stens
zwei
Betten
darin.
Dann erhalten
wir
in
diesem
Absatz
die
Information,
CIa.B
das Zimmer
oben liegt, jedenfalls
kommt
der Kitter
nachts
zum
Ehepaar
rherunten.
Das
widerspricht
dem friheren
Eindruck,
antwortet aber auf
den
innertextuellen
Venveis
tdoben
envhnttenlp),
In
der Schlulpassage erfahren
wir,
der Marchese
habe
mit
einer Kerze
da5
Sclllofs,
(riberall
mit
Holz
getfelt
wie
es
war,
an
allen vier
Ecken, miide
seines
Lebens,
angesteckt.l)
Wenn
der
Leser
zu
dieser
Zeile
komnnt,
whnt
er
den
Marchese jedoch noch
in
dem
Zimmer; andererseie
schliefk diese
Stelle genau an
die
merkwtirdige
Genitiv-
konstruktion
der
ersten
Information
an:
rtein
SchloB
nait hohen
und weiduii-
gen
Zimmern, i n der en
dnem
einstp.
Kleist treibt
also ein sprachliches
Spiel
mit dem
Erinnern
und
demverges-
sen.Was
ist
dasverhltnis?
Erinnern
wir
uns
zu
genau, zerfllt
die Geschichte
in
lauter
Fragmente,
die nicht
zusammen
passen,
ja
in Schutt
und Trimmer.
Verstehen wir
Sie
als
Narration
-
und
die Textsorte trgt
un5
dasja
crst
einmal
an
-
missen wir
vergessen,
wenigstens einen
Teil
von dem, was wir
gehrt
184
COMPARIAIISON
2
(1996)
haben.Was
aber passiert
aus
demvergessenen,
aus
dem,
was
durch di e
Homo-
genisierung,
die wir durch
die
Narration
herstellen,
ausgeschlossen wird?
Die
Antwort
ist
die Geschichte
selbst'.
es
spukt,
es
geht
um, es behlt
eine ambiva-
lente
Gegenwrtkkeit.
ES
gehrt
einer
anderen
Zeit
als
der
der
Narmtion
an,
in
der
wir Geschehnisse
chronologisieren;
es
entsteht eine
Mehrzeitigkeit,
eine
Ungleichzeitigkeit.
Der Marchese
erschrickt,
als der
Fremde von
dem
Gespenst
erzlt,
tter
wulte selbst
nicht recht
warumhh
-
er
wufke
und
wuBte
nicht. Und es
bleibt bis
zum Schlull ofln, ob der
Marchese
Sich eigendich an
den
Vorfall,
der
(4mehrere Jahre' zuriickliegt, erinnert,
voll
erinnert.ls
Es
sind
nur die
Landleute,
die
einen
Zusammenhang
herstellen,
die
die weiBen
Ge-
beine
in
den
Winkel
des
Zimmcrs
tragen,
fdvon
welchem
er
das
Bettelweib
von Locarno
hatte
autitehen
heifsen.p
Wenn
Kleists
Novelle
mit demverb
Aheillem
endet
-
und
wir
nicht weiter
dabei
verweilen,
(Ia.I:J
in
dem uutehen
heiflenh)
der
Anfang und
das
Ende,
der
Befehl
und
das
Feuer
anklingt
-
dann
ist es
angebracht, nach
dem Namen
zu
f ragen, den
der Volksmund
hier
der
alten
Frau
gibt
und
den
die Novelle
als
Titel trgt.
Sicher,
es
entspricht
den
volkskulturellen Mnemotechniken,
auler-
gewhnliches Geschehen
mit
Ortsnamen
zu
verbinden, als
wollte
man
das
Unheimliche
dadurch an
einen
Ort
bannen. Doch
sieht
man
sich den
Namen
etwas
nher
an,
dann blickt er nicht
nur
zuriick,
er
explodiertWir
haben das
lateinische
kcare
(stellen, errichten,
setzen, aber auch
besiedeln und
verznie-
tenl;
letzteres,
vermieten,
ist wohl
die
wichtigste
Bedeutung
im
heutigen
Iolienisch;
im
Spanischen
bedeutet loco
verriickt
-
clie
Etymologie des
Wortes
ist
ungewilk
dann haben
wir in
der
Mitte
des
Namens
das
ltaenische
carne,
das Fleisch,
allerdings
weiblich, la
carne.
In
dem
Namen
steckt also sowohl
eine
Bestimrnung
iiber
eine
Bendlichkeit
in
einem
Ort,
wie
auch der
Be-
zug
auf einen
Krper.
Eine weitere
Dimension
erffnet
sich,
wenn
man
die
15
was
ist
das,
Avoll
erinnerm,
lrecht:
wissen,
warum? Schrcibt
man
dieses
xrecht.
mit
Majuskeln, stofsen
wir
auf
die
Frage,
die
in der
Sekundrliteratur
fast
ausschlieBlich
diskutiert wird: Ist
diese
Erscheinung
Produkt eines
SchuldbewuBtseins
des
Marchese,
oder
ist
zumindest
sein
Verhalten,
seine Reaktion
Zeichen
eines
SchuldbewuBtseiru.
Das
karm
man darm
auf
der Ebene de5
Rechts
diskutieren:
a1s Feudalherr
(1:H-
er iiber
andere
und
ihren Krper,
zumal
in
seinem
Haus,
verigcn,
hat aber
auch
gewisse Pchten
der
Frsorge. Die hlt er
ein.
er
jagt
die
Frau
ja
nicht davon,
sie
soll
Sich
nur
hinter
den
Ofen
verfgen.
Wenn
wir
auf
da
christlich-moralische
Gebot der
Nchstenliebe
und
des
Mit-
leidens.
der
Concordia,
abzielen. darm
ist die
Antwort
auch
nicht
eindeutig.Woil
spricht
der
T ext vo n
eunwlip,
aber
e r s agt
nichts
dariiber
a us, o b si ch
der
Marchese
berhaupt
noch
im
Zimmer
beflndet, a1s daS
Ungliick
geschieht.vielleicht
kann
er die
Gerusche
des
Aufstehens
vom Stroh
und das Geseufz und
Gerchel
gar
taicht
wiedererkemen,
weil
er
es
nie
gehrt hat.
-
Die
Schuldfrage
ist bei
Kleist,
wie
auch spter
bei Kaoa. der
bei dem
ersten
K sehr viel
gelernt hat,
nur
ein
d ri tt er K. e in
Kder, der den
Leser
a uf d ie
falsche
Fhrte
lockt.
COMPARIAIISON 2
(1996)
185
-
7/26/2019 Goerling Genero Sexo Fantasma Literatura
7/11
Vokale
betont;
Loocaarnooo.
Sucht man
nun
den
Text
nach
OS
und
As
durch
-
und
das
verlangt
eine
Geschichte,
deren
Konstruktionsprinzip ein sprachli-
ches
Erinnern
voraussetzt
und
die
damit
ihr
Spiel
treibt,
geradezu
-
dann
fllt
eines
sofort
aufi
das
Wort
xtdahh
findet
sich
8 mal.
Nun
wird
dieses
a
von
Kleist
oft
benutzt,
doch
hat
er
es
sonst
nirgendwo
auf
So
engem
Raum
so
ngehuft.
rrie
Frau, da
sie
sich
erhobt, tMehrere
Jahre
nachher,
da der
Marchesep
und
am
deutlichsten
in
der im
Prsens
erzlten
Passage:
dfwhrend
der
Marquis,
der
den
Degen
ergrifn:
wer
da?
ruft, und
da
ihm piemand
antavortet,
gleich
einem
Kasenden,
nach
allen
Richtungen
die
Luft
durch-
haut/.Was
Kleist an
dem
qda')
fasziniert,
das
ist
die
Unmglichkeit
zu
bestim-
men,
ob
es
kausal
benutzt
wird,
oder
ob
es
eine
Anwesenheit
indiziert.l6
Die
Anwesenheit
wird,
indem
sie
cin Teil
der
Narrution
wird,
auch als
kausale
Bestirnmung
gedacht.
Genau
diesen
Ubergang
stellt der
Text
in
Frage,
zeigt,
(Ia.IJ
in
diesern
Obergang
etwas
von
der
Anwesenheit
verloren
geht:
ohne
Vergessen
gibt
es keine
Narration
-
obwoi
Narration
zugleich
eine
Technik
des
Erinnerns
ist.
Das da
ist
also
ein
Scharnier
zwischen
zwei
Reihen,
der
der
Prsenz
und
der
der
Iausalitt.
Die
Kausalitt
ist
die
Prsenz
fr
sich
zeigt
es:
durch
verbunden
mit
dem
Prinzip
der
Identitt,
genommen
aber
nicht.
Wie
entsteht
Prsenz?
Der Text
Wiederholtlng.
Wiederholung
aber
setzt
Erinnerung
voraus.
Erinnerung wiederum
setzt
eine Abwesenheit
voraus, eine
Difrenz. Es
gibt
keine
Wiederholung
ohne
DiFerenz, ds
ist
eine der
Einsichten,
zu denen
Gilles
Deleuze
in
D-i
ren
et rptition
kommt.
Damit
ist
der
Prsenz
selbst
aber
eine
Differenz
eingeschrieben,
eine
Abwesenheit,
die
wir
zugleich
erin-
d
'
iissen.l
7
nern
un
vergessen
rrt
Die5e5
Verhltnis
von
Wiedcrholung
und
Diffrenz
thematisiert
der Text
in
der
erzhlten
Geschichte
der
akustischen
Erscheinungen.
Und
er
inszeniert
es
sprachlich,
zum
Beispiel auch
durch
eine
hohe
Zahl
an
Wort-
und
Wortklang-
wiederholungen
in
Variantcn
wie:
Schutt,
unterschtten,
erschttern;
betteln
und
betten;
und
so
weiter.
Dasvergessen
-
man
ahnt es
-
dasvergessen
ist
im
O
indiziert.
Loocaarnoo:
Rhythmus
und
Keihenfolge
entsprechen
der
Erzhlung
iibrigens
insoweit,
als,
wie
gesagt,
eine
Stelle im Prsens,
also in der
Illusion
der
Anwesenheit,
I63
Erst
die
roblematik
der
Cbersetzung
dieses
qdah
scheint
darauf
aunerksam
ge-
macht
zu
haben:
Lilian
R.
Fulks'r,
qBegging
an
Answer:
Kleist's
The
Beggarwoman
of
Locarnop, in:
Countercurrents
-
On
tbe
PrfNltcy
ofxts
,:
Litercry
Cri'li'cipll,
hg, v.
Raymond
Adolph
Prier,
NewYork
1992,
98-11
1, hier 108.
1-3
Deleuze
formuliert
przise:
AMan
wiederholt
nicht, weil
man
verdrngt, Sondern
man
verdrngt. weil
man
wiederholt.p
(Gilles
DELEUZE,
Diyebenz
utyff
Wzedrrolufw,
iibers.
v.
Joseph
Vogl,
Mnchen
1992.
140.)
186
c'lullalktAllsox
2
(7996)
erzlt
wird, die
von
Erinnerungen an
Abwesendes eingeschlossen ist.
Das
O
steckt im
Stroh
und im
Ofen. Kleist unterlfst
es
bei keiner
der
vier
Schilde-
rungen
der
Bewegung, die
die
Fru auf Befehl
des Marchese
ttigt, das Stroh
und
den
Ofen
zu
envhnen.
Sie geht vom Stroh
zum Ofen, von
einer
Abwesenheit
in
eine
andere.
Einen Leib haben
bedeutet, so
Maurice
Merlau-
Ponm ftsichtbar
seinl.l8wenn
daS
stimmt,
dann umfafk
der Befehl
deS
Marchese,
di e Frau
solle
sich
hinter den
Ofen vedgen,
nicht
nur den Wunsch,
sie
solle
aus
seinem Sichtfeld treten,
er
zielt
auch
auf eine Negation
ihres Leibes.
Kleist
hatte es
mit
dem
0: denk n
wir an die
Marqaise
lzprl
0.., , mit
den
vier
Punkten nach dem
0.
Es ist
gelegendich
vermutet
worden,
das
O sei
dort
ein Zeichen
fr den
vol len Leib
der
Schwangeren,
der
Mutter.
Genug
der
Indizien,
denke
ich.
sich
zu
fragen,
was denn
die Mutter mit
dem
Pro-
blem
der Prsenz
zu t'un
hat.
In
Jenseits
des
Lustprinzs
kommt Sigmund
Freud
darauf
zu
sprechen,
ab er iiber clas Spulespiel
Seines
Enkelkindes
nach-
denkt:
fo-o-o-o
sagt das
Kind, wenn es
di e Spul e
iiber den
ltand
seines
verhngten Bettchens wir,
ryDah/,
wenn
es
sie
wieder
nttels der
angebunde-
nen
Schnur
zu
sich heranholt.
Freud versteht
dieses
Spiel als
eine
Symboli-
sierung,
eine
erste
Vetsprachlichung
der
Diflkrenz
zwischen
An-
und
Abwe-
senheit
der
Mutter. Nur
das, was ihn
irritierq
ist
die
Beobachtung,
dafs
das
Kind
auch
beimWegwerfen
einen
ffAusdruck
von
Interesse und
Befriedigunp
zeigt
und (LB
es diesen
Teil
des Spiels
viel fter wiederholt
als den
anderen.lg
Eine
der
mgalichen
Erklrungen sieht Freud in
einer Aggression gegen
die
Mutter,
etwa
in dem Sinne:
(a,
gela'
nur fort, ich
brauch' dich
nicht,
ich
schick'
dich
selber
weg.p
(S.
14) Das
Kind lernt
im
Spiel
mit dem Symbol
aktiv
mit
der
Differenz zwischen
ihm
und
der
Mutter
umzugehen. Die
Be-
friedigung
iiber
die so gewonnene
Autonomie,
die
Prsenz
des
eigenen Ich
als
Instanz
einer
aktiven
Synthesis
-
im
Gegensatz zu
der
passiven
Synthesis,
die
durch
die reine
Wiederholung
hergestellt
wird
-
geht
aber
einher mit
der
Verwerfung
des
anderen,
also
hier
der
Mutter. Damit
aber verkehren sich
die
Vorzeichen: bedrohlich wird
die krperliche
Anwesenheit der
Mutter,
wenig-
stens
Situativ.
ES
entsteht
ein
Wiederholunpzwang
des
Fortschickens,
des
Ver-
werfens,
des
Vedgens ber
den Krper der
Mutter.
Der
Krper
der Mutter
(und
der Frau,
insoweit ihr Bild mit dem
der
Mutter
eine Deckung eingeht)
wird
zum
Bild
der ambivalenten
Anwesenheit
schlechthin.
Nun
iSt
eine
solche
Diskussion
der
alten Frau
als Mutterfigur
eine
wohl
legitime,
aber
dcm
Text
nicht
ganz gerecht
werdende Engfhrung.
Psycho-
18
Maurice
MEItLEAU-PCINTY, Das
ksikfur:
und lffl.
Uttsbtbqre, bers. v, Gegula
Giuliani
u.
Bernhard
Waldezls, Miinchen
1994, 244.
19
Sigmund FREUIA,
(enseits
deS
Lustprinzipshh,
in:
Gesatttnldte
I'Wrke, Bd.
XIII, Frank-
furt/M
1972,
1-69, hier 12.
I-eIIMPAIkIAIISON 2 (1 996)
187
-
7/26/2019 Goerling Genero Sexo Fantasma Literatura
8/11
analytisch
gesprochen
wirde
man sagen, diese
Figur
aktualisiert
die
Venver-
fung,
aber
Kleists
Texte lassen
sich nie in
einem
Diskurs
homogenisieren, auch
dieser
nicht.
Ofl-en liegt
zum Beispiel
der
sozialpolitische
Diskurs
iiber
die
Schwierigkeiten des Landadels,
ein neues,
von der Verfgung
iber Land
und
Leute
gelstes Verstndnis
von
Besitz zu
erlernen.zo
Und
die
alte
Frau ist
ein
Kzeuzungspunkt
vielfacher
Ausgrenzung: sozial;
denn sie
ist arm;
geschlecht-
lich;
das unterschiedliche
Verhalten
des
Ehepaars ihr
gegcniiber
spiegelt
und
verstsrkt
das;
i n Bezug
auf
die soziale
Bedeutung
des
Lebenszyklus; sie
ist
alt;
krperlich:
sie ist
gebrechlich und krank; und nicht
zu vergessen
sprachlich:
es
sind
nur
Iflagelaute,
keine
Wortes
die
die
Frau
von
Sich
gibt
-
zumindest
ezhrt kein
Wort
von
ihr
eine
Reprsentation
im Texq
betteln
kann man
auch
gestisch.
Doch
alle diese
Ausgrenzungen
haben mit
einer
sozialen Markierung
ihres
Krpers
zu
mn.
Die
Frau
erleidet
sie,
und zwar
durch
die.
Handlungen
des
Marchese.
Eine
der vielen
noch
gar
nicht
erwhnten
Merkwrdigkeiten des
Textes
besteht darin,
CIaB
Kleist zur
Bezeichnung
des
Marchese
die
italiensche
Form
'des
sozialen
Titels,
zu
der
der
Marquise
aber
die
franzsische
w:hlt.
Nur einmal, und
zwar
in
der
im
Prsens erzhlten
Passage.
syricht Kleist
vom
Marquis. Ich
will das
hier
nur zum
Arllafl
nehmen,
auch
dieses Wort
etwas
nher
anzuschauen.
Mark
(wie
Mark Bmndenburg),
Marquise,
Marchese,
die
Markierung
und schlieBlich
auch der
Marsch:
alle
diese
Worte
haben
dieselbe
Wurzel.
eManchlv
nmg der
Marchese der alten
Fr'au
befolzlen haben,
als cr
ihren Gang quer
ber
(L'B
Zimmer
verfgte.
Was
soll dieser
Befehl
berhaupt?
Warum
soll
sie
denn
von
der
einen
Abwesenheit zur
anderen?verworfen lann
nur
clas
wetden,
was
prsent i st , c la ,
in
der Mitte des Raumes.
Um
zu
verwer-
fen ber, muB
man
den
Krper
markieren. Mit
der
Markierung
wird
er
zu-
gleich
marginal. Es
braucht also das
Gegenber in
der
Mitte,
um
die
Umhiil-
20
Um
1800 befanden
si ch i n Preuen
bereits
10
Prozent
des vormals
adligen
Grund-
besitzes in
brgerlicher Hand.
Zugleich
gab
es immer
mehr
aristokratische Unternehmer,
die
Besitz
nicht
mehr
als
territoriale
GrBe,
sondern a1S variable
Kapitalmasse
zu
verstehen
lernen
multen. 1807 wurde
die
buerliche Erbuntertrigkeit
aufgehoben, ein
neues Ver-
hltrlis
zwischen
den
sozialen
Klasen
mute
ausgehandelt werden.
Dem Marchese
will
dies
nicht gelingen,
seine
Idensitt
ist
so
sehr
mit
der
Verfgung
fber Land und Leute
verbunden,
dafs er
lieber
sich und atles andere zerstrt a1s
aufzugeben.
Warum? In der
Umbruchssiruation
zeigt
sich etwas, das
vorher
aus
dem
System
der
Reprsentation
ausge-
schlossen
war. Und
zwar
i r a lle.
Es
ist
ewas
Bedrohliches
und
Urheirnliches,
nicht
weil
es fremd
ist,
sondern
weil
es
schon
inamer
a1s
Abwesendes im
Sys tem der
Reprsentation
eingescllossen
war, we
die
Anwesenheit,
der Besitz, schon
immer auf seiner
Negation
beruhte.
Ober die zeitgenssichen politischen Dkurse,
die
Kleist.s
Text
durchkreuzen,
informiert: Eck.ar:
KEHR,
qzur
Genesis
der
preuBischen Biirokratie und
des
Rechtsstaatshh,
in: Der
Pnllal der
fnrlcnpplfll'k
-
Cesattlttelte
Aufstze zur
peu-pisc-eutschen
Soziclgescbicbte
1',,1 19.
und
zo.jabundert,
Berlin
1965,
31-52.
lung
herzustellen
-
ein Widerspruch,
der,
wie Luce Irigaray
Schreibt,
die'
nnrllichen Bilder
des
Miitterlich-Weiblichen durchgngig
prgt.21
Diese
Markierung
ist eine
Verletzung,
Kleist beschreibt
sie:
qDie
Frau, da
sie sich
erhob,
gylitschte mit der Krcke
auf dem glatten Boden aus, und
beschxdigte sich,
auf eine gefhrliche
Weise, das
Kreuzl.
Ich
halte
das
fr den
schwieripten
Satz
der
ganzen
Erzhlung. Er
beschreibt
eine
Einnmligkeit, in
der eine
Verletzung
l iegt und zug le ich e ine Prsenz. Wenn
es
unsicher ist, ob
dies jemand
gesehen
hat,
warum wird
es
dann
beschrieben? Und warum
kehrt
gerade
das,
der
Fall,
in den
gkustischen Wiederholungen nicht wieder,
nur die vom Sthnen
begleitete Bewegung von O nach 0?
Mcht
die Einma-
ligkeit diesen Teil
des
Satzes
so
tmgefgig,
so
trout
of
jointhh?
Die beiden Os
von Str oh und Ofen geben einen Wahmen,
auf
dem
glatten Boden aher ist
keine Fuge. Genau hier I indet jedoch e ine
Markierung
statt, ein Fallen,
ein
Verletzen,
ein Kreuzen
des
Kreuzes. Der Befel tl des Marchese veqt die
Bewegung eines Krpers. Die
Bewegung
prsentiert
den
Krper flir
den
Marchese,
er Lnn nur dann markiert werden.
Auch
dieser Obersetzunpversuch blieb mir
lange
noch zu
erratisch,
der
Satz noch immer ein Chok. Er setzte sich ftir nch erst in Bewegung, als ich
das
Faksimile
eines
Arbeitsmanuskripts
von Kleist sah. Dann hiefs der Satz fr
mich
pltzlich:
rdglitschte
mit der Feder auf dem glatten Bogen
aus,
und
beschdigte
sich,
auf eine gefhrliche Weise, (Ias
Zeichen.h/
-
Bedeutet denn
nicht alles
Schreiben
von
Geschichte in elementarster
Form,
wie Michel
de
Certeu
formuliert,
fteinen
Satz konstruieren') und
fixieren,
Aindem
nunlh
mit
einem
Hilfmittel
viiber
eine scheinbar
leere
Flche,
die Seite,
geht))?22
Die miindliche
Cberlieferung,
das Geschichtenerzhlen der Landleute, ver-
bindet Dinge, Ereignisse und Orte.
Sie trgt
sie
aber nicht in eine
Zeidinie
Vergangenheit-Gegenwart-zukunft
ein. Volkskulmrell
sind
Gespenster fast
immer
mit
Orten
verbunden,
sie bleiben in den
Orten pisent,
sind nicht
wirklich
vergangen. Die Landleute bei Kleist machen nichts
anderes,
als
einen
toten, verstreuten
Krper
an einem
Ort
zusammenzutragen. Der oder die
Schreibende jedoch steht vor einem scheinbar leeren Bogen: er oder sie muB
aus einem abwesenden
Krper
oder einer andernore
oder zu
anderer
Zeit
erlebten Geschichte
etwas Anwesendes
nmchen.
Aber heif das nicht: er oder
sie ist
willens, i iber
diesen
Krper
zu
verfgen,
ihm
den
eigenen
Willen
einzuschreiben? Und
wenn man
sich dieses
Herrschafsanspruches inne wird.
wenn
mn merkt, daB man
das,
was man reprsentiert, zugleich verletzt:
21
Luce IRIGARAY, Etht'k tcr sexuellen D ereuz. iibers. v Xerzia Rajewsky Frankfurt/M
1991:
17 f
22,
Michel DE CERTEAU, Das Schreiben der
Gcy/i'c/zlt',
iibers. v. Sylvia M.
Schomburg-
Scherff,
Frankfurt/M
1991, 16.
COMPARIAIISON 2 (1996) 189
COMPARIAIISON
2 (1996)
-
7/26/2019 Goerling Genero Sexo Fantasma Literatura
9/11
4
werden
dann nicht
die
Zeichen
selbst
fragwiirdig,
clie
Worte,
die
Stze, mit
denen
der leere
Bogen
immer
schon
virttzeil
beschrieben
ist?
Werden
Sie nicht
selbst
gespenstisch
(in ihrer
Vieldeutigkeit
und
Willkiir)
und
die
Gespenster
wirklich?
D2s
Problem
ist,
(L'ZB
der
Zweifel,
clas
Nicht-Kontrollieren-lnnen
der
Bedeumng
-
und
es
ist
letzdich
das der
DiFerenz
zwischen
Leben
und Tod
-
(I:B dieser
Zweifel wie
durch
eine
fatale
Entropie in
Kleists Novelle
ebenso
wie in
Hamlet zum
Tod
drngt.
Shakespeare
hat
in
seinen
Komdien
etws
anderes gesucht.
Auch
Kleist
hat
-
zumindest
in der
Marque
von
0. . . .
-
eine
andere Lsung
gedacht.
Eine
solche
Lsung ist
verbunden
mit
einem
Begeh-
ren,
das
wenigcr
auf
den
Besitz als
auf
das einfache
dz gerichtet
ist,
das
ein
gegenseiges
ist
und datiiber
einen
dauerhaften
Zwischenraum
herstellen
kann.
Die
Bewegung
des
Hin-und
Her, aber
von beiden
Seiten, nt
wechselnden
Positionen, nicht
die
Digerenzen
ausend, den
anderen
als nderen
akzep-
tierend,
seine
Anwesenheit, aber auch
die
Anwesenheit
des
Todes
in
der
Liebe,
im
Leben.
Univosittit
Hannover
190
COMPARIAIISON 2
(1996)
-
7/26/2019 Goerling Genero Sexo Fantasma Literatura
10/11
Trable
des
naatires
Advisory
board
Gabriele
Aldo
Bertozzi
(Pescara),
Yves
Chevrel
(Paris),
Hans-lost
Frey
(Ziirich),
Armando
Gnisci
(Roma),
Gerhart
von
Graevenitz
(Konsmnz),
Werner
Hamacher
(Baltimore),
Ernest
Hess-Lttich
(Bern),
Ferdinand van Ingen (Amsterdam),
Wolfgang
Iser
(Konsunz),
Renate
Lachmann
(Konstanz),
Claudio
Magris
(Trieste),
Maria
Moog-Grnewald
(Tbingen),
Rainer
Ngele
(Baltimorel,virgil
Nemoianu
t'Washington),
George Steiner
(Genve),
nrlheinz Stierle
(Konstanz),
Ueorge Hugo
Tucker
(Reading),
Mario
J.valds
(Toronto),
Giannivattimo
(Torino).
Editor:
Michaellakob,
Insttzt fr
Germanistik
an
der
Univenitk Bern,
Unitobler,
Lnggass-
Strasse 49,
CH-3000
Bern 9,
Mnaging
Editor:
Maura
Formica
Asthetiken
ffe-
Hsslichen
1.
Jean
irth.
Tormosa
deformitas'
0u
I'estbtique
CI)/
Iti
J
l';?'
0
lle
rotlllelle
.......-..............................................................
i
2.
J'
rgen
Niemad,
Apotheosen
des
Urlf'erxurlxc-;
das
fr/lfiewe
............ ..........
19
3.
Paola
egretti,
ktsex
surlf
uf;e
odt't
Do-frll.
ef
t
'
tf
testatur
dlrlfrlltz
eius'
sep
frlplrtl
e
arlrl-flllffl
e
fI;I
rata
fle/1'(,lzt1
t)i
............-......-...-..........-........-......-...........
:5
5
4.
Hans
R.
Brittnacher,
Paranoia
zr
iqetisches
Gesetz.
.Da.r
literarische
Universum
des
ffouurd
Jllllf-rB
I-zvezas
............................
51
5.
George
Hugo
Tucker,
Bqond
Beauty.
'f'/x
estbetia
0./-
tlte
hf ,lJ;pr-
Jifl)l
f,l
tlte
J?
oetyjt
o-/'-/p
altittk
zz)f
Lell6q'
..,..........-......................-
57
1$
6.
Achim
Hlter,
Det'
sclmckierte
Blkk.
Bemerkungen
zu
den
Kriqsverserten
zwiscen
expressionistischer
J-
tletlsaclllicller
l7erlllellfl/e
........-.....................-.......................-..................
1
1
1
7.
Reto Sorg
-
Michael
Angele,
Dh,
my
GJ-p
Oh,
my
Ga-oil
O,
Ga-() .f
O,
my
Ga-p /z
Automil-unfall
undzqpoalypse
fn
er
Literatur
Subscripdons
and
Orders:
Peter
Lang
AG,
Europischer
Verlag
der
Wissenschaften
Jupiterstrve
15,
CH-3015
Bern
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s.Fr,
80.-/
DM
92.- / US-$
62.-
ISBN
3-906757-71-4
ISS;4
0942-8917
Q
Peter Lang
AG,
European
Academic Publishers.
Berne
1997
AII
righks
reserved.
Reprint or
reproduction,
even
partially,
in all
forms
such
as
microfilm,
xerogmphy,
microche,
nzicrocards
oet strictly
prohibited.
Printed
in
Switzerland
8.
KeinholdGrling,
Das
Geschlecht
er
Cxespenstes
uteradsce
frl-ztwfcrl/rlxcrl
eter
ambivalenten
(Qycnwfjrfxkeft
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175
-
7/26/2019 Goerling Genero Sexo Fantasma Literatura
11/11
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